Die böse Treppe
Die böse Treppe
Die Treppe. Ich meine die Treppe bei uns zu Hause. Die, die nach oben in den Schlafbereich meiner Menschen führt. Diese Treppe ist richtig doof und böse. Sie hindert mich daran, meinen Job zu machen. Nämlich aufzupassen. Auf mein Haus und meine Menschen selbstverständlich.
Darum kann ich es beim besten Willen nicht verstehen. Ich meine, warum meine Menschen nicht wollen, dass ich nach oben gehe. Ich möchte doch einfach nur sicher stellen, dass alles bei ihnen und im Haus in Ordnung ist.
Ja ja, ich gebe es zu! Manchmal möchte ich meine Menschen auch einfach nur wecken, wenn ich wach bin. Und bei ihnen sein, wenn sie duschen und sich für den Tag fertig machen. Oder sie besuchen, wenn sie oben etwas zu tun haben.
Sie arbeiten ja immer noch im Homeoffice. Wegen Corona. Mein Herrchen Veit hat sein Homeoffice-Büro oben, neben den Schlafzimmern. Frauchen Petra arbeitet unten, neben dem Hauseingang.
Wenn ich einsam bin und zu Petra möchte, ist das kein Problem. Ihre Bürotür ist immer auf. Und was ich ganz besonders toll finde: für mich liegt ein wunderbares weiches großes Bett bereit.
Wenn ich zu Veit möchte, muss ich halt nach oben gehen. Dafür muss ich über diese böse Treppe aus Granit laufen.

Ich weiß sehr wohl, dass ich diese Treppe nicht betreten darf. Aber ich kann oft einfach nicht widerstehen. Neulich zum Beispiel. Herrchen Veit fuhr an einem Samstag ganz früh weg. Es war so gegen 6 Uhr morgens. Ich war völlig entsetzt, dass er mich nicht mitgenommen hat. Nein, er hat mich einfach stehen lassen. Wie gemein! Da saß ich nun. Ganz allein im Wohnzimmer. Und wartete und wartete und wartete … Schlafen konnte ich nicht mehr. Ich war ja wach.

Frauchen Petra war oben. Sie schlief tief und fest. Das habe ich genau gespürt. So etwa eine halbe Stunde lang konnte ich abwarten. Dann aber habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich habe mich ganz leise hochgeschlichen. Sie zu finden war leicht. Außerdem hat Petra ja immer die Schlafzimmertür auf. Dann sah ich sie. Schlafend. Ich bin zu ihr hingegangen. Erst habe ich sie ein wenig beobachtet. Als sie aber einfach nicht wach werden wollte, bin ich mit meinen Pfoten aufs Bett (Jaaaa, ich weiß, ich darf das NICHT – NIEMALS). Trotzdem. Ich konnte nicht anders. Also – meine Pfoten waren auf dem Bett – und Zack – da habe ich sie vor lauter Liebe einfach abgeschleckt. Ich bin nur (m)einem Impuls gefolgt.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum sie das nicht so klasse fand. Petra sah mich mit großen müden Augen an. Sie sagte nur „Nein“, stand auf und brachte mich wortlos nach unten. In mein Bett, meinen „Kinderknast“ (so nennen meine Menschen meinen Laufstall ganz liebevoll). Sie schloss die Tür, und ging wieder ins Bett. Einfach so. Kein Wort zu mir. Ich habe mich richtig schlecht gefühlt.
Wenn Petra nichts sagt, mich ignoriert, dann ist das viel viel schlimmer, als wenn sie mit mir schimpft. Denn Schimpfen ist ja Beachtung. Ignorieren ist Missachtung. Das ist wirklich ganz furchtbar.
Ich musste also warten. Warten bis sie geduscht und sich fertig gemacht hatte und endlich wieder herunter kam. Oh! Was war ich froh, als sie mich dann freudig und liebevoll begrüßt hat. Danach sind wir rausgegangen zu einem langen und tollen Spaziergang.
Oft möchte ich so gern nach oben gehen, traue mich dann aber doch nicht so recht. Ich lege mich dann einfach auf eine der unteren Treppenstufen. Dort liege ich dann erst einmal und überlege. Ich überlege, ob ich hier warten oder doch so frech sein und hochgehen soll. Tatsächlich werde ich dann irgendwann ganz mutig – ich bin halt doch sehr neugierig. Ich schleiche mich dann immer auf gaaaanz leisen Pfoten und seeeehr langsam hoch.
Leider werde ich fast immer erwischt. Meine Menschen sind ja nicht blöd. Und Ohren haben sie auch. Zwar nicht so gute wie meine, aber immerhin.


Wenn sie mich dann oben erwischen, gibt es ein deutliches „Nein“. Meine Menschen müssen mich gar nicht mehr nach unten „bringen“. Ich drehe dann sofort um und zuckele wieder runter. Neulich zum Beispiel. Petra war oben und ich wollte zu ihr. Auf der vorletzten Stufe angekommen entdeckte sie mich. Petra musste gar nichts sagen. Sie schaute mich an, zeigte mit dem Finger nach unten und ich verstand. Ich machte auf der Stufe kehrt und ging direkt wieder runter. Zu blöd!
Also diese Treppe reizt mich. Und weil ich sie nicht benutzen darf, reizt sie mich umso mehr. Wenn ich mal allein zu Hause bin, wandere ich im ganzen Haus herum. Ich muss doch alles abschnüffeln. Schließlich bin ich jetzt gerade der Herr im Haus. Ich will meiner Pflicht nachkommen und sicher stellen, dass alles in Ordnung ist. Natürlich auch oben. Zu gern würde ich mich in die Betten meiner Menschen legen. Dort riecht es so richtig gut nach ihnen. Aber nein – die machen doch tatsächlich immer ALLE Türen zu, wenn sie das Haus verlassen.
Ich glaube, mit dieser Treppe bleibe ich auf dem Kriegsfuß. Hey, ich bin ein großer starker Rüde und lass mir doch nicht von einer Treppe den Spaß vermiesen. Meine Menschen sehen das gelassen – sie sind aber trotzdem hartnäckig. Mal sehen, wann ich sie herumkriege, so dass ich ganz „offiziell“ nach oben darf! Schließlich habe ich doch einen Job zu erledigen. Ganz besonders wenn sie nicht im Haus sind oder sogar schlafen. Denn dann muss ich sie ja beschützen. Ich hoffe, dass sie das doch bald mal einsehen!